Im Rahmen der Anwendung des Personenfreizügigkeitsabkommens zwischen der Europäischen Union (EU) und der Schweiz sehen die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und 987/2009 vor, die für den grenzüberschreitenden Datenaustausch verwendeten Papierformulare durch den elektronischen Datenaustausch abzulösen. Dieselbe Regel gilt für die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA). Durch den Wechsel vom physischen zum elektronischen Austausch werden die Informationen strukturiert und vereinheitlicht. Dies bringt Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger: Die Qualität der Dossiers wird verbessert und sie können effizienter abgewickelt werden. Verbesserungspotenzial besteht auch für Institutionen und Behörden. Durch die Digitalisierung werden die Prozesse optimiert, und die Transparenz der Aktivitäten wird erhöht. Zudem besteht die Möglichkeit, die Effektivität und Effizienz bei der Bearbeitung von Dossiers statistisch zu analysieren. Somit werden sich die Arbeitsweise, das Tätigkeitsgebiet wie auch die Organisation weiterentwickeln. Diesen Änderungsprozess gilt es zielführend zu steuern.
Beim grenzüberschreitenden Datenaustausch legt die EU den Fokus auf die Arbeitsabläufe und die Informatiksysteme (IT) zur Abwicklung dieser Arbeiten. Die Arbeitsabläufe werden anhand von Prozessen, sogenannten BUC (Business Use Case), strukturiert. Sie beschreiben die Prozesse, die die Institutionen zur Bearbeitung eines Dossiers abwickeln müssen und enthalten die ausgetauschten Formulare, die sogenannten SED (Structured Electronic Document). Die Verwaltungskommission zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit hat die Prozesse und Formulare validiert. In der Kommission vertreten sind die Mitgliedstaaten der EU und der EFTA.
Um Daten auszutauschen, identifiziert der Träger eines Landes den Träger eines anderen Landes. Ist dies nicht möglich, richtet sich die Institution an die zentrale Organisation (i. d. R. die Verbindungsstelle zum Ausland) des Landes, die den entsprechenden Träger ausfindig macht und ihm die Information weiterleitet. Insgesamt werden rund 120 Prozesse und 350 Formulare erfasst. Es wird unterschieden zwischen bereichsspezifischen Prozessen und Prozessen, die von mehreren Bereichen genutzt werden.
Die User nutzen das IT-System vor allem über die Anwendung RINA (Reference Implementation for a
National Application). Über eine webbasierte Benutzeroberfläche (1) in einem Explorer können sie Formulare austauschen und die Abläufe verfolgen, so wie es in den Prozessen vordefiniert ist. Die folgende Grafik enthält zwei Ansichten der webbasierten Benutzeroberfläche, die eine für das Login (RINA-Login) und die andere für die Liste der Anfragen (RINA Notification Center).
RINA verfügt zudem über eine Benutzeroberfläche für den Austausch mit einer bereichsspezifischen Anwendung (Case Processing Service (2)), beispielsweise für die Bestimmung der anwendbaren Rechtsvorschriften: Über die zentrale gemeinsame Anwendung ALPS (Applicable Legislation Platform
Switzerland) können Arbeitgeber, Selbstständigerwerbende, AHV-Ausgleichskassen und das BSV sämtliche Unterstellungsanfragen abwickeln. Im Rahmen eines anstehenden Projekts ist geplant, ALPS mit der Anwendungsschnittstelle zu verbinden.
Die Informationen werden über ein gesichertes Netzwerk ausgetauscht, dem sogenannten TESTA (Trans European Services for Telematics between Administrations). TESTA ist der Verwaltung
vorbehalten. Jedes Land ist über einen AP (Access Point) mit TESTA verbunden. Der Austausch zwischen zwei Ländern erfolgt über das Netzwerk TESTA, den APs und einen zentralen Dienst (CSN, Central Service Node). CSN ist der zentrale Standard für die Datenübertragung und enthält die Liste der aufgeschalteten Träger (IR: Institution Repository) und das CDM (Common Data Model) für die Strukturen der Prozesse und der Formulare.
Im Hinblick auf die Systemimplementierung werden Denkanstösse für einen konkreten Lösungsansatz (a) sowie eine Road Map (b) dazu präsentiert. Die Kernpunkte, die es im Hinblick auf den Betrieb (c) zu berücksichtigen gilt, sind ebenfalls enthalten.
a) Lösungsansatz
Der Einsatz von RINA mit der webbasierten Benutzeroberfläche ist für Träger ideal, die nur eine begrenzte Anzahl Anfragen bearbeiten. Sobald die Zahl der Dossiers höher ist oder der Bereich die Dossiers nicht doppelt manuell eingeben will (in RINA und in der bereichsspezifischen Anwendung), sollte die Anwendungsschnittstelle verwendet werden. Ist eine spezifische Anwendung wie z. B. ALPS im Einsatz, müsste sie angepasst werden. Beziehungsweise sie müsste entwickelt werden, falls eine solche Anwendung nicht vorhanden ist. Jeder Bereich muss für sich die passende Lösung entwickeln, unabhängig davon, welchen Ansatz andere Länder oder Bereiche wählen.
Konkret muss jeder Bereich folgende Prozesse prüfen:
1. Wirkungs- und Potenzialanalyse:
a) durch die Identifizierung der betroffenen Träger, der fachspezifischen und multidisziplinären Prozesse sowie der zentralen Organisation, die die Anfragen bearbeiten wird, wenn dem Antragsteller der Schweizer Träger nicht bekannt ist.
b) durch die Evaluierung der Auswirkungen auf die Organisation, die Prozesse und die Tools, und
c) durch die Abklärung von Synergien und Verbesserungsmöglichkeiten auf Ebene Organisation, Prozesse, Anwendungen und deren operative Abwicklung.
2. Lösungsfindung:
a) RINA mit der webbasierten Benutzeroberfläche verwenden,
b) neue Lösung einsetzen, basierend auf einer:
i. Vereinheitlichung der Prozesse
ii. Integration der Anwendungen
iii. Standardisierung der Technologien
iv. Konsolidierung der Rechnungszentren
v. Reduzierung der Anzahl IT-Dienstleister
vi. Implementierung der Anwendungsschnittstelle mit RINA.
Es sollte vermieden werden, Anwendungsschnittstellen nur mit den bestehenden Anwendungen zu entwickeln, ohne andere Lösungen in Betracht zu ziehen. Dadurch würde das System nur komplexer, ohne die aktuelle Situation zu verbessern. Zudem sollte die Zahl der Benutzeroberflächen zwischen den aktuellen Anwendungen und RINA unbedingt limitiert werden, so dass die Entwicklungskapazitäten nicht eingeschränkt und die Budgets für Betrieb und Wartung nicht belastet werden.
b) Kriterien für die Road Map
Für die Projektplanung sind folgende Kriterien relevant:
a) Was kann unabhängig vom Projektverlauf der Europäischen Kommission im Rahmen von EESSI umgesetzt werden?
b) Was hängt von den «Lieferungen» der Europäischen Kommission im Rahmen von EESSI ab? Es wird vorgeschlagen, die Arbeiten schrittweise nach deren Verfügbarkeit zu veranlassen: Drei wichtige Projektschritte sind dabei massgebend:
- Validierung der Prozesse und Formulare => Wirkungsanalyse starten
- Validierung des europäischen IT-Konzepts => länder- bzw. bereichsspezifisches IT-Konzept starten
- Verfügbarkeit eines europäischen IT-Systems zu Testzwecken => Tests des länder- bzw. bereichsspezifischen IT-Systems starten
c) Welche Komponente kann in der Schweiz in Betrieb genommen werden, die in einem Mitgliedstaat, mit dem die Schweiz einen umfangreichen Austausch pflegt, bereits im Einsatz ist?
Die folgende Grafik illustriert die einzelnen Projektschritte in Bezug auf Planung, Bau und Betrieb.
c) Kernpunkte für den Betrieb der Infrastruktur
Der Bedarf auf Ebene Informationssicherheit, Identifizierung und Benutzerautorisierung sowie die Zuständigkeiten für die operative Abwicklung sind ebenfalls Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die Zuständigkeiten in Bezug auf die Prozesse, die Anwendungen (inkl. Wartung) und den Betrieb der IT-Systeme.
Apps |
Prozesse |
Anwendung & Wartung |
Informatik- |
---|---|---|---|
Central Service Node |
Europäische Kommission | Europäische Kommission |
Europäische Kommission |
Access Point |
Bundesamt für Informatik und Telekommunikation |
||
RINA |
Europäische Kommission & Mitgliedstaaten |
||
Bereichsspez. |
Abhängig vom Kontext des Bereichs |
Die nachfolgende Übersicht zeigt die Zuständigkeiten des dreistufigen Konzepts für Benutzeranfragen:
Für die Umsetzung des Änderungsprozesses im Zusammenhang mit der Integration von EESSI in der Schweiz braucht es eine Organisation und klare Richtlinien. Sie sollen ein effizientes Zusammenwirken zwischen Stakeholdern sicherstellen und zur Klärung von Entscheiden beitragen. Involviert in den Änderungsprozess sind die Europäische Kommission auf der einen und die Schweiz auf der anderen Seite. Die Schweiz ist vertreten durch:
- die Aufsichtsbehörden: BSV, BAG und SECO
- die Projektleitung von SNAP-EESSI
- die beteiligten Träger, die im Änderungsprozess eine wichtige Rolle spielen: BSV, BAG, SECO, ZAS, GEKVG und Suva
Es folgt eine Übersicht über die Zuständigkeiten der einzelnen Träger:
Die nachfolgende Grafik enthält eine Übersicht über die Organisation der Steuerung und Führung des Änderungsprozesses sowie die Schlüsselrollen.
Diese Struktur dient lediglich als Anhaltspunkt. Sie ist abhängig von den zu implementierenden Projekten und deren Stand der Umsetzung.
Der Steuerungsausschuss sorgt für den reibungslosen Ablauf der Projekte, entscheidet über die strategischen Ausrichtungen und nimmt die für die Projektsteuerung erforderlichen Bereinigungen vor.
Die Projektleiterinnen und -leiter treffen sich, um Projekte zu koordinieren und Synergien zu nutzen: Das Ziel sind gemeinsame Praktiken und Lösungen, sowohl bei der Umsetzung als auch bei der Steuerung des Änderungsprozesses. Bei Bedarf können zu punktuellen Themen externe Fachpersonen herbeigezogen werden.
Organisation und Governance, die es für den reibungslosen Ablauf der Projekte seitens der Träger zu implementieren gilt, werden hier nicht erörtert.
Die Herausforderung besteht nicht nur darin, eine digitale Schnittstelle mit den Trägern der Mitgliedstaaten der EU und der EFTA zu implementieren, sondern auch die digitale Entwicklung bei den schweizerischen Sozialversicherungen voranzubringen. Das bedingt neue Arbeitsabläufe, um das Potenzial der neusten Informationstechnologien bestmöglich zu nutzen. Der grenzüberschreitende Datenaustausch basierend auf den in Europa umgesetzten Good Practices kann vor diesem Hintergrund als Verbesserung und zusätzliche Vereinfachung begrüsst werden.
AP |
Access Point: Der Access Point ist die Schnittstelle, die die internationale Kommunikation zwischen zwei Trägern herstellt. Er wird von der Europäischen Kommission entwickelt und fällt in ihre Zuständigkeit. Die Mitgliedstaaten implementieren, hosten und betreiben den Access Point. |
BUC |
Business Use Case: Der BUC, oder auch Prozess, beschreibt den Ablauf der einzelnen Prozessschritte und Informationen, die es zur Bearbeitung einer Anfrage zwischen zwei Staaten umzusetzen bzw. auszutauschen gilt. |
CDM |
Common Data Model: Das Common Data Model enthält die Beschreibung der Prozesse (BUC), die Formulare (SED) und deren Daten. |
CSN |
Central Service Node: Der Central Service Node stellt alle für den grenzüberschreitenden Datenaustausch nötigen zentralen Dienste sicher. Insbesondere bildet er den Standard für die Datenübertragung (IR) und die Beschreibung der Prozesse und Formulare (CDM). |
EESSI |
Electronic Exchange of Social Security Information: Projekt der Europäischen Kommission für den elektronischen Datenaustausch zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) und der Schweiz gemäss Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009. |
IR |
Institution Repository: Das Repository der Träger enthält alle für die Abwicklung von Mitteilungen zwischen den einzelnen Trägern notwendigen Daten. |
RINA |
Reference Implementation for a National Application: Hierbei handelt es sich um eine den Mitgliedstaaten zum Austausch von Mitteilungen mit anderen Trägern zur Verfügung gestellte Lösung. RINA umfasst eine Reihe von Diensten (Kommunikation, Standard, Benutzeroberfläche usw.) zum Austausch von Mitteilungen und elektronischen Dokumenten. |
SED |
Structured Electronic Document: Beschreibung der Struktur und des Inhalts eines von Trägern ausgetauschten Dokuments. |
SNAP-EESSI |
Swiss National Action Plan for Electronic Exchange of Social Security Information: Schweizerisches Projekt zur Implementierung der EESSI-Lösung für den elektronischen Datenaustausch. |
TESTA |
Trans European Services for Telematics between Administrations: Das TESTA-Netzwerk bietet eine Infrastruktur für den sicheren Austausch von Informationen zwischen europäischen und nationalen Verwaltungen an. |
Weiterführende Informationen
Kontakt
Kontaktpersonen für SNAP-EESSI:
Xavier Rossmanith
Bundesamt für Sozialversicherungen
international@bsv.admin.ch
Jean Jahn
Bundesamt für Sozialversicherungen
international@bsv.admin.ch
Letzte Änderung 12.10.2017